Aus einem Leben

Jetzt gerade möchte ich vor Verzweiflung und Trauer am liebsten losweinen und mich hemmungslos besaufen. Ich werde aber versuchen, mir so wenig wie möglich anmerken zu lassen.
Kurzes gemeinsames Frühstück. Ich frage meine Tochter, ob wir nachher zusammen Plätzchen backen. Antwort: Mama hatte mich schon gefragt, ob wir nachher Eislaufen gehen.
Natürlich ohne mich.
Kind bemerkt die unangenehme Situation und versucht mich zu trösten. Wir können ja in der Woche noch Plätzchen backen oder nächstes Wochenende.
Fünf Minuten später kommt sie zu mir in die Küche und möchte sich bei mir entschuldigen, weil sie gestern Abend vergessen hat, mir von den heutigen Plänen zu berichten. Ich sage ihr, das sie sich dafür nicht entschuldigen muss und versuche so zu tun, als ob alles normal.
Innerlich sterbe ich.

Auf dem Weg nach Portugal, aufgenommen am 08.08.2017 um 21.45 Uhr. An dieser Brücke hängt unser "Schloss der Liebe", unsere Tochter hat danach den Schlüssel in den Fluss werfen dürfen. Eines Tages werde ich da noch einmal hinfahren.

Neun Stunden geschlafen, aber Träume haben mich geplagt. Bin aufgewacht weil ich geträumt habe, dass sie über Nacht ausgezogen ist und die Wohnung bis auf das Schlafzimmer leer ist.
Dann ein kurzer Schrecken. Wo ist meine Frau? Normalerweise im Wohnzimmer beim Daddeln, bzw. jetzt in ihrem Luxus-Zimmer. Da ist aber Licht aus. Da aber mein Schlüssel in der Haustür von innen steckt, muss sie noch da sein. Schläft sie? Würde mich freuen, das braucht sie wohl.
Heute ist erster Advent. In den letzten Jahren hat meine Frau immer schon kurz vorher "gedrängelt", dass ich den Weihnachtskram vom Dachboden hole. Habe ich gestern ohne Aufforderung gemacht und heute werde ich mit meiner Tochter etwas die Wohnung schmücken. Schwierige Situation für uns alle. Sie fühlt sich hier nicht mehr zu Hause und dennoch geht der Alltag halbwegs weiter. Mir fällt gerade nichts ein, um ihr dieses Situation einfacher, angenehmer zu machen.

Jetzt ist sie wach. Es gab ein kurzes guten Morgen und einen schönen ersten Advent. Und die Sonne scheint. Hoffentlich auch bald in ihrem Herzen wieder.

Na dann mal einen schönen ersten Advent euch allen!

Was ich vorhin geschrieben habe, geistert mir seitdem durch den Kopf. Es waren "gute zehn Jahre". Das waren sie, definitiv, da brauche ich eigentlich kein Fotoarchiv.
Das ist alles noch präsent: kennenlernen, erstes Weihnachten mit meiner Familie, Sylvester, die kurze Zeit in meiner alten Wohnung. Nach nicht einmal sechs Monaten haben wir unsere erste Wohnung angemietet. Der erste gemeinsame Urlaub in Italien in dem Horror-Hotel. Das Wohnmobil, der Traumurlaub in Portugal. Verlobung, der Firmenverkauf und der Umzug in die Erdgeschosswohnung. Wohnwagenkauf, das Krisenjahr, Corona und der Campingplatz. Jobwechsel bei uns beiden. Wohnwagenverkauf, Hotelurlaube, Mitbenutzung einer Ferienwohnung im Harz. Dann bei uns beiden "Karriere". Die Wohnung ist gemütlich eingerichtet und ein Heim. Und mittendrin eine zauberhafte Tochter mit guten Noten. Eigentlich bis letzten Sommer nahezu perfekt.und selbst danach, das mit den Swingerclubs war auch eine spannende Zeit.
Im Laufe der Zeit haben wir uns natürlich beide verändert. Ob zum guten oder zum schlechten, darüber mag ich nicht urteilen. Ich habe aber das Gefühl, meine Frau und meine Tochter haben mich zu einem besseren Menschen gemacht.

Bin heute recht stabil geblieben. Trotz Ausflug in die Vergangenheit. Was heißt trotz? Im Gegenteil, die Bilder haben mich an viele schöne Momente erinnert, das war eigentlich ganz gut. Die guten Erinnerungen der letzten zehn Jahre kann mir niemand mehr nehmen.
Meine Frau ist nachmittags nach Hause gekommen,mes gab eine kurze Begrüßung und Absprache, wann es Abendessen gibt. Danach gleich wieder Isolation im Luxus-Zimmer.
Drei Stunden später habe ich den Lachs perfekt gebraten, die Kräutersoße sieht gut aus und die Bandnudeln sind durch. Ich hatte den Plan, in der Küche zu essen und ihr danach das Wohnzimmer zu überlassen, was ich auch so meiner Tochter mitgeteilt habe. Und sie hat es wieder geschafft, dass wir alle im Wohnzimmer essen und noch eine Folge 7-vs-wild zusammen sehen. Danach ist meine Frau wortlos aus dem Wohnzimmer verschwunden und heute wird es kein "gute Nacht" geben.

Ich würde es ihr leichter machen, wenn ich zum Arschloch mutiere, herumheule, herumstänkere und sie ständig versuchen würde, vollzuquatschen. Vielleicht noch unter Druck setzen wegen Geld und Umgangsrecht. Dann könnte sie mich wenigstens vollends hassen, auch vor ihrer Tochter. Aber ihr gegenüber versuche so "normal" wie möglich zu bleiben. Nett, freundlich, nur das nötigste für den Alltag fragen. Bisher nur zwei Ausrutscher, ansonsten gelingt mir das ganz gut. Aber auch nur, weil ich mich hier kurz gehen lassen kann.
Sie ist immer noch krank, schläft weiterhin schlecht, sieht furchtbar traurig aus und ich mache mir große Sorgen. Und selbst das kann und darf ich gerade nicht sagen. Ihr "Kopf-Kino muss doppelt so schlimm wie meines sein. Nach Hause kommen, zu Hause sein, mich zu sehen/ertragen, - da möchte ich nicht mit ihr tauschen.
Vor fast sieben Jahren habe ich ihr versprochen, in guten wie in schlechten Zeiten ihr Ehemann zu sein. Jetzt haben wir "schlechte Zeiten", und ich würde wirklich gerne jetzt für sie da sein.

Es gab doch ein "gute Nacht". Ohne ansehen.

Unser "Familien-Wappen", von meiner Frau entworfen.

Habe mir nach dem Einkauf einen kleinen Trip in die Vergangenheit gegönnt. Bin mal durchs Archiv gestöbert und hab meine letzten 15 Jahre überflogen. Eigentlich ein schöner Ausflug. Danach dann durch das Bilderarchiv, das war traurig und schön zugleich. So viele Bilder von uns, und so viele Bilder von meiner Frau mit dem "Glitzern" in ihren Augen. Ich würde rückblickend zusammenfassen: wir hatten sehr schöne zehn Jahre!
Schade, dass dieses eine Thema bei ihr diese negativen Gefühle ausgelöst haben und all das Positive überlagert haben.

Mini-Gespräch. Absprache zum Thema Essen heute und morgen, was soll es geben, was soll ich einkaufen. Friedlich geklärt.
Ich konnte mich nicht zurückhalten und habe gefragt, ob es ihr jetzt etwas besser geht. Schnelle Antwort: ja. Ohne Glanz und Freude.
Mein Angebot, die Zimmer zu tauschen hat sie abgelehnt, sich aber bedankt. Ebenfalls für die Überlassung des Wohnzimmers, ich würde mich dann zurückziehen. "Vielleicht heute Abend".
Gespräch beendet.



(Beim Nachtangeln auf dem Campingplatz am Tonsee in die Bank geritzt)

Wieder spät nachts erst eingeschlafen und dann auch noch geträumt. Fühle mich elendig und suche in mir nach Kraft.

Im Kopf meines Vaters ist das Bild von mir wahrscheinlich verändert worden. Da ich es für nicht richtig halte was er jetzt sieht, schmerzt das etwas. Aber für mich ist nur wichtig, dass sein Bild von meiner Frau genau so bleibt, wie es vorher war. Das er sie weiterhin in seinem Herzen behält und ihr "Vater" bleibt.

Meine Frau wird vormittags zu einer Freundin fahren, ohne unsere Tochter. Kommt dann spät nach Hause, wahrscheinlich erst zum Abendessen. Laut ihrer Aussage essen wir auch morgen Abend zusammen.
Also heute einkaufen gehen und ein kein wenig Haushalt. Adventskalender für unsere Tochter vorbereiten.

Montag dann die nächste Wohnungsbesichtigung. Und sie hat immer noch nicht mit mir gesprochen, wie es mit unserer HV weitergehen soll.

Und sie sieht immer noch nicht glücklich aus, steht weiterhin mitten in der Nacht auf und schweigt mich an. Ich hatte gedacht, wenn sie diese Entscheidung getroffen und ausgesprochen hat, sich von mir zu trennen, dass sie dann ihren innerlichen Frieden zurück erlangt. Das wir uns dann friedlich trennen, so wie wir es vorher unserer Tochter erklärt haben.

Ich würde gerne "um sie kämpfen". Ihr jeden Tag Liebesbriefe schreiben, ihr Bett mit Blüten bedecken und die Sterne für sie vom Himmel holen. Aber ich bin verunsichert. Habe Angst, sie damit nur noch mehr unter Druck zu setzen.

Schreien, Kratzen, Vorwürfe, Ohrfeigen, zerbrochene Teller - all das wäre mir lieber als dieses Schweigen. Oder so zu tun, als wären die letzten zehn Jahre der pure Horror für sie gewesen.

Mein Vater ist für so ein Gefühle-Chaos nicht gemacht. Es zerreißt ihm sein Herz, denn er liebt seine Schwiegertochter und seine Enkelin. Und er hält auch zu ihr.

Das ist gut.

Der Baum hat gestern wohl einen Sturmschaden abbekommen. Gestern konnte ich es noch vor meiner Tochter verbergen, heute morgen jedoch nicht. Ich wünschte, ich wäre "stabiler".
Arbeitstag überstanden und oh Freude, es erwartet mich wohl ein ziemlich einsames Wochenende. Aber der Laptop funktioniert wieder und ich kann mich in meine Arbeit flüchten.

Jetzt Abendessen vorbereiten. Vegane Köttbular. Danach dann die "Hinrichtung" bei meinem Vater und Farbe bekennen. Sein jüngster Sohnemann hat's versaut...

Vermutlich ein Tiefpunkt gewesen. Ich bin nicht tot umgefallen, - wünschte aber ganz ehrlich, das dem so gewesen wäre. Bis um vier Uhr morgens zitternd, schluchzend und jämmerlich im Bett gelegen. In mir ist etwas zerbrochen.

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Mom, jetzt brauche ich dich. Ich löse mich gerade auf!