Freitag, 7. Juni 2024
Pubertäre Irrungen
Das Gymnasium in Berlin-Neukölln war wohl rückblickend betrachtet nicht die beste Wahl gewesen. Zu klein, ein Rektor kurz vor der Rente, direkt nach der Wende konfrontiert mit einer neuen Realität, gelegen in einem sozialen Brennpunkt. Meine Grundschul-Blümchen-Welt musste ich schnell gegen Waffen, Gewalt, Drogen, Selbstdarstellung und Gruppen-Denken eintauschen, und damit hatte ich anfangs starke Probleme. Ossi oder Wessi, Rapper oder Heavy, Pash-Jeans oder Woolworth, Levis oder WhitBoy, Blues oder Pogo, oder, oder, oder...
Bis ich da eine Nische für mich gefunden hatte (die ich letztendlich nie gefunden habe), dauerte und kostete Aufmerksamkeit, dementsprechend nicht verwunderlich, dass ich die neunte Klasse wiederholen musste.
Parallel dazu habe ich meine Freizeit in einer Jugendeinrichtung verbracht, teilweise an fünf Abenden in der Woche. Sommerreisen, Kochen, Projekte in den verschiedensten Bereichen, - da habe ich mehr für das Leben gelernt als in der Schule. Schade, dass es solche Einrichtungen kaum noch gibt.
Und auch familiär waren die Folgen der Wende zu spüren, mein Vater hatte seine Kündigung erhalten, weil das Werk in Berlin plötzlich unrentabel wurde. Mit der Abfindung hat er eine kleine Firma gegründet und Kfz-Anhänger verkauft, die Familie musste natürlich mithelfen. Um die angespannte Situation für meine Familie so richtig spaßig zu machen, habe ich meine Pubertät intensiv ausgelebt und die Rolle des schwarzen Schafes übernommen. Mädchen-Abenteuer, Drogen, Schwänzen, heimlich Aufofahren - das ganze Programm. Da ich noch Bundeskanzler werden möchte, lasse ich die Details besser aus. Eine Folge davon war allerdings, dass ich trotz Schulwechsel und 15 Jahren Schulbesuch mein Abitur nicht geschafft habe, was mir heute noch innerlich einen Stich versetzt, wenn ich daran denke.
Dennoch, meine wilden Jahre bereue ich nicht, weder die guten noch die schlechten Erfahrungen.

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